Hauptsache rundum zufrieden

Hauptsache rundum zufrieden

3. Juni 2018 | LIBELLE Magazin

Wir sprachen mit Frau Warnecke, der Leiterin der Stiftung Haus der Talente, das manchem noch unter dem Titel Competence Center Begabtenförderung-CCB ein Begriff ist. Hier finden Eltern pädagogisch-psychologische Hilfe rund um alle Fragen der Begabtenfindung und -förderung. Das Angebot des Hauses umfasst neben Information und Beratung auch Fachberatung, Fortbildung und Konfliktmoderation, sowie ein Veranstaltungsangebot.

Sabine Warnecke im Interview

L.: Wie äußert sich Hochbegabung?
Warnecke: Durch ein vertieftes Interesse an einem oder mehreren Themen. Wenn ein Kind sehr wissbegierig ist, viele Fragen stellt und den Themen auf den Grund gehen möchte. Das Besondere bei hochbegabten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ist, dass sie dieses vertiefte Wissen auch vernetzen, Probleme erkennen und Lösungen erarbeiten können. Großer Ideenreichtum, sehr hohe Kreativität und sehr hohe Motivation kennzeichnen hochbegabte Kinder. Sie geraten dabei oft in einen sogenannten Flowzustand, vergessen alles um sich herum und verlieren sich völlig in der Aufgabe, die sie bearbeiten.

L.: Zu welchem Zeitpunkt äußert sich Hochbegabung typischerweise?
Warnecke: Hochbegabung kann sich in jeder Facette schon im Kindergartenalter zeigen: Die Kinder werden den Erzieherinnen oder Eltern im positiven Sinne auffällig, weil sie in ihrer Entwicklung den anderen Kindern voraus sind, einen sehr eloquenten Sprachcode verwenden, eine hohe Konzentrationsspanne haben, schnell lernen oder Freude daran haben, sich mit weiterführenden Themen zu beschäftigen. Oft sind diese Kinder besonders gern mit älteren Kindern oder Erwachsenen zusammen. Tests sind in dieser Altersgruppe weniger valide als bei Schulkindern.

L.: Wem fällt Hochbegabung in der Regel auf?
Warnecke: Sie tritt im Lern- und Lebensumfeld der Kinder zutage. Das bedeutet, sie kann der Erzieherin, dem Lehrer oder einer pädagogischen Fachkraft auffallen, den Eltern oder auch Opa und Oma, die beim Spielen am Nachmittag erkennen, dass das Kind ein besonderes Talent oder eine Begabung hat.

L.: Wann gilt ein Kind als hochbegabt?
Warnecke: Ab einem Intelligenzquotienten von 130 spricht man von Hochbegabung. Es gibt aber auch die Teilhochbegabung, wenn ein Kind in einem der Begabungsbereiche einen Wert von 130 hat. Wir schauen in unserem Beratungs- und Förderkontext weniger auf diese Richtwerte, sondern orientieren uns an den individuellen besonderen Begabungen, möchten diese erkennen und Förderwege entwickeln.

L.: Wie viele Kinder sind hochbegabt?
Warnecke: Zwei Prozent einer Altersgruppe gelten als hochbegabt.

L.: Was sollten Eltern, die eine Hochbegabung bei ihrem Kind vermuten, tun?
Warnecke: Unser Ansatz ist: Es geht nicht darum, Bestleistung zu erzielen, sondern am wichtigsten ist die Zufriedenheit des Kindes. Wir schauen aufs Kind: Ist es zufrieden? Wird seinem Wissensdurst nachgekommen? Hat es genügend Förderangebote? Ist es sozial gut angekommen? Hat es Freunde? Nimmt es Regeln an? Kommt es im sozialen Gefüge zurecht? Kann es ein Spiel zu Ende führen? Sind die Ergebnisse in der Schule zufriedenstellend? Wenn das Kind zufrieden ist, ist keine weitere Förderung nötig! Dann ist schon ein Erziehungsstil gefunden, der es auf einen guten Weg bringt.

L.: Wie bewerten Sie die Möglichkeit der vorzeitigen Einschulung oder des Überspringens einer Klasse?
Warnecke: Vorzeitiges Einschulen und Überspringen sind völlig akzeptable Fördermöglichkeiten, die aber unbedingt multifaktorell abgeklärt sein müssen. Der Wunsch des Kindes ist ebenso entscheidend wie die Einschätzung seiner kognitiven, sozialen und körperlichen Entwicklung. Es gibt sehr viele Aspekte, die sorgfältig abgewogen und mit den Eltern besprochen werden müssen, bevor hier eine Empfehlung ausgesprochen werden kann.

L.: Welche Beratungsanlässe führen Eltern mit ihren Kindern ins Haus der Talente?
Warnecke: Es gibt fünf grundlegende Situationen, in denen Eltern den Weg zu uns suchen:

1. Unterforderung: Wenn das Kind in Schule und Freizeit unterfordert und unzufrieden ist und das auch anspricht, oder man es im Gespräch mit Lehrern bzw. Erziehern heraushört, sollte man gemeinsam schauen, welche Möglichkeiten es in der Institution,- also in Schule oder Kindergarten-, gibt. Hier stößt man oft institutionell auf Grenzen. Dann ist es sinnvoll, die Angebote im Haus der Talente oder die unserer Kooperationspartner in Anspruch zu nehmen.

2. Förderdiagnostik: Wenn Eltern die Begabung ihres Kindes nicht richtig einschätzen können, ist eine Diagnose mit einer individuellen Testung sinnvoll. Auf der Basis verschiedener Tests können wir passgenaue Förderwege entwickeln und optimal auf die Förderung des Kindes eingehen.

3. Entwicklungsbesonderheiten: Verschiedene Auffälligkeiten wie Autismus, Asperger, ADHS oder Dyskalkulie sind zwar nicht unbedingt Kennzeichen von Hochbegabung, eine Hochbegabung kann aber mit einer derartigen Entwicklungsbesonderheit einhergehen. Dann ist eine spezielle Förderung wichtig, um Brücken zu bauen zu Schule und Kindergarten.

4. Motivations- und Konzentrationsschwierigkeiten: Wenn beim Lernen etwas nicht stimmt, verfügt das Kind nicht über die notwendigen, individuellen Lernstrategien. Das Kind kann über eine hohe Begabung verfügen, sein Talent aber nicht in Leistung umsetzen und kann in der Folge zum Underachiever, oder sogar zum Schulverweigerer werden. Hier ist es wichtig, die Ursachen aufzuspüren und das Kind aus seinen Schwierigkeiten herauszuführen. Man sagt als Faustregel, dass es dafür so viel Zeit braucht, wie das Kind brauchte, um zum Underachiever zu werden.

5. Soziale Auffälligkeiten: Wenn ein Kind sich einsam fühlt, sozial nicht eingebunden ist oder in Schule und Freizeit keine Freunde hat, ist es wichtig, mit beratenden Stellen, ErzieherInnen oder Psychotherapeuten darüber ins Gespräch zu treten. Vor allem bei Übergängen,- dem Kindergartenstart, der Einschulung oder dem Wechsel auf die weiterführende Schule-, muss alles neu sortiert werden. Häufig treten Schwierigkeiten besonders zu diesen Zeiten auf, weil sich hier neue Sozialstrukturen um das Kind herum bilden. Wenn aber eine Dysbalance besteht, das Kind sich einsam fühlt und auch einsam ist, ist es wichtig, Beratung zu suchen und gemeinsam Fördermöglichkeiten zu entwickeln.

L.: Mit welchen Angeboten lassen sich Hochbegabte besonders fördern?
Warnecke: Bei uns gibt es zwei Förderschienen: Literatur/Sprache/Ethik auf der einen und Naturwissenschaft/Technik auf der anderen Seite, sowie Förderprojekte verschiedener Art, ein monatliches Clubformat in den Bereichen Roboterprogrammieren und Song&Lyrics. Wir bieten Akademien in den Schulferien an und eine Kinder- und Jugendakademie zur Förderung außergewöhnlicher Talente für Jugendliche zwischen elf und achtzehn Jahren. Die Kinder und Jugendlichen erhalten hier die Chance Expertise aufzubauen und haben durch den Umgang mit Gleichgesinnten auch die soziale Komponente dabei.

L.: Welches Konfliktpotential kann eine Hochbegabung mit sich bringen?
Warnecke: Es können Konflikte auf unterschiedlicher Ebene entstehen. Wenn Lernstrategien fehlen und die Motivation runtergeht, kann die Leistung abfallen. Kinder zu normaler Motivation und Lernfähigkeit zu führen, ist eine unserer schwierigsten Aufgaben hier. Aber auch wenn Lehrer durch ein hochbegabtes Kind an ihre Grenzen geführt werden, können Konflikte entstehen. In jedem Fall ist Beratung nötig, denn all diese Schwierigkeiten können behoben werden. Ziel ist immer, dass sich das Kind in Ruhe entwickeln kann und Eltern die Beschleunigung in der Leistungsgesellschaft nicht auf die kindliche Entwicklung übertragen.

Quelle: Libelle 06/2018

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